"Lehrer haben morgens Recht und nachmittags frei..."

Donnerstag, 10. Oktober 2013

Diesen Spruch bekomme ich fast jedes zweite Mal zu hören, wenn ich jemandem erzähle, dass ich Lehramt studiere. „Ach Lehrer? Da hast du dir ja einen ruhigen Beruf ausgesucht. Nachmittags frei und die ganzen Ferien...
Ja - für den ein oder anderen mag die Freizeit bei der Studienentscheidung sogar eine Rolle gespielt haben, oder sie entschieden sich frei nach dem Motto: „Was soll ich nur studieren? Ich mag Mathe und Kinder...
Und überhaupt, man gibt sicherlich einen super Lehrer ab. Frisch aus der Schule weiß man ja noch, was einem an einem Lehrer gefallen hat und was nicht. Lehrer die Filme gezeigt haben warum cool, aber nur wenn man währenddessen nichts mitschreiben mussten. Gruppenarbeit war auch ok, aber nur wenn man das nicht jede Woche machen musste. Schrecklich waren die Lehrer, die sich so gar nichts einfallen ließen...also bitte, so schwer kann es doch nicht sein ne coole Unterrichtsstunde zu liefern.

eine reine Wunschvorstellung ...


Spätestens beim ersten Praktikum stellt man aber fest, dass diese „nachmittags frei“ Geschichte nicht so ganz stimmen kann. Für eine einzige Stunde, die man unterrichten soll, sitzt man auf einmal mehr als einen Nachmittag vor seinen Materialien, um alles zu planen und zu organisieren. Man möchte ja auch überzeugen und eine Mathematikstunde präsentieren, die sich sehen lassen kann. Aber Zahlen sind eben nur Zahlen. Damit lässt sich nicht zaubern, vor allem, wenn das Thema vorgegeben ist. Außerdem soll man in 45 Minuten möglichst viele verschiedene Sozialformen (Einzelarbeit, Gruppenarbeit, Selbstlernphasen etc.) anbieten. Einfach nur vorne stehen und etwas erklären reicht nicht, da werden die Schüler zu unruhig. Dann muss man die Aufgaben noch differenzieren, weil es Schüler gibt, die selbst mit den einfacheren Aufgaben überfordert sind. Gleichzeitig soll man der Umwelt zuliebe darauf achten, nicht zu viel Papier zu drucken. Aber wenn man Aufgaben an die Tafel schreibt, muss man mindestens 10 Minuten einberechnen, bis alle Schüler sie ins Heft übertragen haben; eigentlich sogar nochmal 3 Minuten mehr, weil der Stefan aus der letzten Reihe es wieder nicht mitbekommt und sogar später, während des Abschreibens, den Faden verliert und alle anderen ablenkt...

Schon mal 25 gleiche Klassenarbeiten
voller Fehler korrigiert und für die
Eltern und Schüler eine Bewertung
drunter geschrieben...das dauert!
Gut, jetzt kann man natürlich sagen: „Ich bin ja auch noch keine Lehrer, der schon Routine in der Arbeit hat. Ist man erst mal angestellt, braucht man nicht mehr so viel Zeit, um alles vorzubereiten.“ Das mag sein. Aber ich unterrichte später dann ja nicht nur eine Stunde am Tag, sondern mehrere. Ich muss nebenher Elterngespräche führen und mich selbst und meine Klassenarbeiten verteidigen. Die Materialien muss ich differenziert mitbringen, weil die Schulbücher leider nicht so aufbereitet sind, dass sie wirklich allen Schülern gerecht werden. Zugegeben vor den Elterngesprächen habe ich richtig Panik. Mein erstes Elterngespräch werde ich führen, da bin ich 24 Jahre alt. Stellt euch vor ich habe eine dreifache Mutter vor mir sitzen und soll ihr jetzt erklären, dass sie ihren Sohn mehr fördern muss und das er mehr als einen Schokoriegel als Pausenbrot braucht. Wie soll ich als Jungspund ohne Kind überzeugend wirken, bzw. die richtigen Argumente liefern? Die Lehrperson ist nämlich leider keine Person mehr, vor der man automatisch Recht hat. Hier sitzt keine alte weise Frau mit einem immensen Erfahrungshorizont. Hier bin nur ich... ich mache auch Fehler. Und ich soll auch Fehler machen, damit ich den Kindern zeigen kann, dass es in Ordnung ist nicht alles zu können. Aber ob Eltern Fehler akzeptieren?

Außerdem habe ich festgestellt, dass ich nicht nur morgens Recht haben muss, sondern scheinbar über einen 24-Stunden-Dienst verfüge. Mal stellt mir ein Freund eine Frage, mal meine Eltern. Und sie alle erwarten eine richtige und schnelle Antwort. „Du studierst doch Geographie, da dachte ich du weißt so was...“ Nicht umsonst werden vermutlich auch so viele Lehrer als Telefonjoker bei ‚Wer wird Millionär‘ eingesetzt. Zugegeben, sollte ich jemals vor Günther Jauch sitzen, würde auch ich einen meiner alten Lehrer angeben. Aber wie gesagt, Allwissend bin ich nicht. Ich bin vielleicht sogar weniger als das. In Chats schreibe ich alles klein und selbst wenn ich mich konzentriere unterlaufen mir ab und an Rechtschreibfehler. Im Grunde weiß ich ja auch wann ein Komma gesetzt werden muss. Aber im Alltag ist es mir manchmal nicht so wichtig. Ich bin eben ganz normal und das ist ok. Aber wir alle wissen ja noch, wie sehr es uns als Schüler gefreut hat, den Lehrer auf einen Fehler hinzuweisen... das war ein Triumph.

Aber offenbar ist das Bild des klugen und allwissenden Lehrers fest in der Gesellschaft verankert, weil jeder zur Schule gegangen ist. Und aus dieser Zeit weiß man eben noch das, was man damals wahrgenommen hat: teure Wagen auf dem Lehrerparkplatz, der Lehrer mit dem Rundumblick, der die Aufgaben aus dem Schulbuch nimmt und braungebrannt aus dem Urlaub zurück kommt. Ja, das mag den Anschein eines feinen Lotterlebens erwecken. Aber ich glaube und mache ja auch jetzt die Erfahrung, dass hinter dem Beruf viel mehr steckt. Es reicht nicht aus, Kinder zu mögen, um den Job gut zu machen. Man muss viel Engagement zeigen und Geduld aufbringen und akzeptieren, dass man manche Dinge eben mehrmals erklären muss und sie in einem Jahr doch wieder vergessen sind. Der Spruch „Das haben wir noch nie gemacht“ fällt doch jedes Schuljahr mindestens einmal in jedem Unterrichtsfach.

Versteht mich nicht falsch. Ich bin überzeugt davon, dass ich einen guten Job mache. Wenn (meiner Meinung nach) eines in den Klassenräumen wichtig geworden ist, dann ist das Engagement, Geduld und Kreativität. Wen kümmert es, dass ich nicht auf Anhieb weiß wie hoch der Kilimandscharo ist? Es kann auch den Eltern egal sein, dass ich so jung bin. Wichtig ist doch vielmehr, dass die Kindern gerne zur Schule gehen, interessante Materialien haben und eine Bezugsperson bekommen, der sie sich öffnen können. Und dafür weiß ich, werde ich meinen Job lieben, auch wenn ich bis mitten in der Nacht am Schreibtisch sitze und Materialien bastle. Lehrer haben eben nicht nur morgens Recht und Nachmittags frei...


Ich weiß, dass Ende war kitschig, aber es entspricht der Wahrheit.
Ich möchte mich ganz herzlich über das tolle Feedback bei meinem ersten Teil „Alles fing damit an, dass ich Jungs blöd fand...“ bedanken. Es hat mich wirklich sehr gefreut und gerührt. Ich habe nämlich immer geglaubt, dass niemand sowas interessiert. Immerhin sind viele der Leser auch noch Schüler.
In einem Kommentar habe ich eine Umfrage angekündigt, welche ich natürlich nicht vergessen werde. Wie alle kennen die kleinen Bücher in der Buchhandlung, in denen Stilblüten aus dem Schulalltag erzählt werden. Ich lese sowas ziemlich gerne und muss zugeben, auch ich habe schon eine kleine Sammlung an Situationen festgehalten. Jetzt ist die Frage, ob Interesse daran besteht so etwas zu lesen?
Möchtet ihr lustige und/oder peinliche Situationen aus meinem Studenten-/Schulalltag lesen?
Über eine Rückmeldung würde ich mich freuen.

Herzlichste Grüße,
Saskia


PS: Dieses Wochenende wird das Design verändert. Solltet ihr mal auf den Blog kommen und es sieht komisch aus – das wird nicht immer so bleiben.

4 Kommentare:

  1. Guten Abend :)
    Ich habe vorhin schon den ersten Teil gelesen und mich zugegeben echt auf den Zweiten gefreut. Und dann kam er schon nachts, statt morgen mittag! Ich finde deinen Post wirklich interessant und finde es echt toll, dass du so denkst. Ich kenne echt so manchen Lehrer, der das komplette Gegenteil wiederspiegelt. Es ist echt viel Arbeit - aber es lohnt sich doch. ♥ Viel Erfolg auf deinem weiteren Weg, und ja - ich würde Geschichten aus dem Schulalltag toll finden!

    Herzlichst, Seija von http://ifsoever.blogspot.de/ ♥

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  2. Sehr gut geschrieben :D Das sind eben die Vorurteile vor dem Job. Aber so wie ich das mitbekommen habe, sind ja die jungen Lehrer noch sehr motiviert, versuchen alles Mögliche die Kinder zu motivieren usw. Doch mit der Zeit bzw. mit dem Alter werden sie ruhig, lasch & naja, nicht mehr wirklich abwechslungsreich. (Trifft natürlich nicht auf alle zu.) Wir haben z.B. in der Berufsschule einen Lehrer, der ist schon recht alt, kümmert sich aber richtig! Ein anderer kann nach 2 Jahren nicht mal unsere Namen (& will dann mündliche Noten machen.......). Es gibt solche & solche Lehrer, aber auch der motivierte Lehrer gibt zu, dass es ein recht ruhiger Job ist, mit viel Urlaub & einiger Freizeit!
    Für mich persönlich wäre der Beruf generell nichts. Vor einer Menschenmenge stehen, reden & auch noch "alles" wissen. Weil wenn ich eine Frage nicht beantworten könnte, wäre mir das soooooo peinlich, ich könnte damit nicht umgehen. & zu viele Kinder auf einem Haufen machen mich Kirre :D Da lern ich doch lieber Industriekauffrau, habe (zum größten Teil) nette erwachsene Kollegen um mich herum :D

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    1. Danke sehr ♥
      Ich glaube ein Nachteil ist echt, dass jeder in der Schule war und genau weiß wie Lehrer sein können. Und irgendwie hat dann jeder Mensch seine eigene Definition von DEM Prototyp-Lehrer.
      Wünschenswert ist es natürlich, wenn jeder der diesen Beruf ausübt, bis zum Ende seines Schullebens motiviert ist jeden Schüler zu fördern. Aber ich hab mal einen Monat ein Praktikum in einer Klasse gemacht, da war ich anfangs entsetzt, wieso die Lehrerin dieses Kind 'fallen gelassen' hat. Am Ende der drei Wochen konnte ich es sogar ein bisschen verstehen.
      Jetzt schreien bestimmt alle auf, wie ich sowas sagen kann :D Aber es spielen eben ganz viele Faktoren bei sowas eine Rolle, nicht zuletzt die Eltern. Der Lehrer ist eben auch für die Schüler keine Respektperson mehr.

      Übrigens, passend zu meinem Eintrag erschien in der Zeitung ein lieber Bericht zu meinem Traumberuf. Der beschreibt auch so ein bisschen das was du sagst. Viele Eltern verzweifeln ja schon an einem einfachen Kindergeburtstag :D
      http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.kolumne-kinderkram-lob-der-lehrer.6e420765-bc7e-4364-b1c1-26d3f169b4fa.html

      Danke für deinen lieben und ausführlichen Kommentar

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Lieber Schreiber,
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Marie und Saskia